Alarmstufe ROT - Milliardenloch in Kommunalkassen gefährdet die Demokratie.
- Dirk Neubauer

- 29. Aug.
- 12 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Aug.

Seit Jahrzehnten werden Kommunen finanziell kurz gehalten. Der Freistaat brauchte das Geld selbst. Für seine ehrgeizigen Projekte. Doch man übersah dabei, dass es die Kommunen sind, in denen entschieden wird, wie sich politische Stimmungen entwickelt. Lange hatten die Kommune Geduld, beschränkten sich selbst im Tun, um keine überbordende Verschuldung aufkommen zu lassen. Was dazu führte, dass immer weniger möglich war. Diese haushaltärische Vernunft verdeckte zwar das eigentliche Problem, erzeugte aber ein anderes: Nämlich, dass es die Kommunen sind, die die Herzkammer der Demokratie sind und in denen Menschen erleben und wahrnehmen, wie gut oder eben auch wie schlecht sich ein Land entwickelt. Und das dort eben durch diese Praxis vieles nicht mehr richtig funktionierte. Regnet es in die Schule rein. Ist die Straße ein Flickenteppich und verschwindet der letzte Ort, an dem man sich treffen kann, oder an dem Kultur stattfindet? Hat der Förderantrag für die drei Fußbälle für den Sportverein wieder drei Seiten mehr als im Vorjahr? Kann die Kommune noch eine eigene, von Bürgerinnen und Bürgern bestimmte Politik machen? Oder ist man ausschließlich abhängig und ist das Wort von der kommunalen Selbsbestimung und dem Heil der kommunalen Familie nur noch eine Phrase. Angesichts eines gigantischen Defizites von 1,07 MRD Euro Ende 2024 und einem Sanierungsrückstau in sehr wahrscheinlich ähnlicher Größenordnung, kann man das zumindest bezweifelt. Und dazu auch, ob die sächsische Politik überhaupt in der Lage ist, dieses Problem zu lösen. Denn um das zu erreichen, braucht es Reformen. Und dafür fehlt es an Ideen und dem politischen Willen.
Vorab. das ist kein politischer Artikel. Diese Recherche beleuchtet die Entwicklung der Finanzlage der sächsichen Kommunen, insbesondere im Hinblick auf das signifikante Haushaltsdefizit. Die Untersuchung stützt sich auf aktuelle Daten des Statistischen Landesamtes, des Sächsischen Rechnungshofs sowie des Sächsischen Städte- und Gemeindetages, um ein umfassendes Bild der finanziellen Situation zu zeichnen.
Am Ende des Textes finden Sie sechs sehr konkrete Punkte, die uns aus dieser Krise führen können. Zumindest aus meiner Sicht. Dies kann man diskutieren. Diese müssen nicht richtig sein. Aber wir brauchen Vorschläge, die aus einer anderen Zeit, als von gestern kommen. Und diese müssen wir diskutieren und mutig entwickeln. Ein "weiter so" geht nicht mehr.
Die Analyse zeigt: Beinahe alle der 416 "wirtschaftlich selbstständigen" Kommunen sind eben dies nicht mehr. Denn deren Finanzlage hat sich in jüngster Zeit von einer Phase der relativen Stabilität hin zu einer akuten und ausgewachsenen Krise entwickelt. Und die Alarmstufe ROT in den Kassen der Kommunen bedeutet auch Alarmstufe ROT für die politische Entwickklung im Land, denn:

Die aus der anhaltenden Finanznot resultierende Handlungsunfähigkeit schafft genau dort Frust und Wut, wo das Leben der Menschen spielt. Kann die Kommune ihre Aufgabe erfüllen und eine gute Politik vor Ort machen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Extreme zum Zuge kommen, niedrig. Warum? Weil Ermöglichung und eine gut praktizierte Lokalpolitik die Basis dafür ist, ob die Menschen ihren Staat als disfunktional und abweisend oder als gute Basis für ihr eigenes Tun und Engagement empfinden. Kurz: Verwaltet die Kommune dagegen nur Mangel und schafft es nicht, die wichtigen Dinge umzusetzen, weil dafür keine Mittel da sind, dann wächst der Frust. Und Frust ist immer ein Einfallstor für Populisten, die mit einfachen Überschriften Lösungen dort versprechen, wo keine sind. Aber sein müssten. Das allein zeigt uns unsere eigene Geschichte merh als deutlich auf.
"Wählt uns und alles wird besser". Das ist der Slogan derer, die nun die Macht wollen. Und den haben sich nicht diese Extremen ausgedacht. Das war die etablierte Politik, die im Osten seit 30 Jahren immer mehr verspricht, als sie halten kann. Weshalb es auch vielen schwer fällt, das zweifelsohne viele Erreichte noch zu sehen.
1. Grundlagen der kommunalen Struktur und Finanzen in Sachsen
1.1 Definition und Anzahl der Kommunen im Freistaat Sachsen
Die Frage nach der Anzahl der wirtschaftlich selbstständigen Kommunen in Sachsen erfordert eine Präzisierung der Terminologie, da der Begriff im offiziellen Sprachgebrauch nicht als spezifische Rechtsform existiert. Vielmehr bezieht er sich in der Regel auf alle Gebietskörperschaften, die über einen eigenen Haushalt verfügen und ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln. Dies umfasst die Kategorien der Kreisfreien Städte und der kreisangehörigen Gemeinden.
Zum Gebietsstand 1. Januar 2022 verzeichnete das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen insgesamt 419 selbstständige Gemeinden.1 Diese gliedern sich in 3 Kreisfreie Städte und 416 kreisangehörige Gemeinden.1 Es ist zu beachten, dass sich die Anzahl der Gemeinden in Sachsen in den letzten Jahren kontinuierlich reduziert hat. Zum 1. Januar 2012 existierten beispielsweise noch 438 Gemeinden, was einen Rückgang von 20 Kommunen innerhalb eines Jahrzehnts markiert.2 Diese Entwicklung spiegelt den anhaltenden Trend zur kommunalen Gebietsreform und administrativen Konsolidierung wider. Obwohl viele dieser kreisangehörigen Gemeinden in Verwaltungsgemeinschaften oder -verbänden organisiert sind, behalten sie ihre individuelle finanzielle Autonomie und gelten somit als eigenständig.1
Die strukturelle Aufteilung der sächsischen Kommunen ist für das Verständnis ihrer Finanzlage von entscheidender Bedeutung, da sich die Belastungen und Einnahmequellen zwischen Kreisfreien Städten, Landkreisen und kreisangehörigen Gemeinden signifikant unterscheiden.
1.2 Grundzüge der Kommunalfinanzierung
Um die Finanzlage der Kommunen zu beurteilen, ist eine klare Unterscheidung zwischen verschiedenen finanzwirtschaftlichen Kennzahlen notwendig. Der Begriff "Finanzdefizit" kann je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben. Er beschreibt in der Regel einen jährlichen Fehlbetrag, also eine Situation, in der die Ausgaben die Einnahmen in einem bestimmten Zeitraum übersteigen. Dies steht im Gegensatz zum "Schuldenstand", der die akkumulierte Gesamtverschuldung aus vergangenen Defiziten darstellt.
Der Schuldenstand der sächsischen Gemeinden und Gemeindeverbände belief sich im Jahr 2021 insgesamt auf 2,24 Milliarden EUR.3 Die Betrachtung der Verschuldung zeigt, dass diese in den letzten Jahren insbesondere bei den kreisangehörigen Gemeinden kontinuierlich abgenommen hat, was ein direktes Resultat ihrer positiven Finanzierungssalden der Vorjahre ist.4 Eine Gemeinde kann also einen hohen Schuldenstand aus der Vergangenheit haben, während sie in der aktuellen Haushaltsperiode einen Überschuss erwirtschaftet. Für die Analyse der gegenwärtigen finanziellen Dynamik sind daher die jährlichen Finanzierungssalden die relevanteren Kennzahlen.
Der Finanzierungssaldo ist der Saldo aus Ein- und Auszahlungen ohne Finanzierungstätigkeit. Eine noch tiefere Einsicht in die strukturelle finanzielle Gesundheit gewährt der Saldo aus der laufenden Verwaltungstätigkeit, da dieser die Kernleistungsfähigkeit der Kommunen abbildet, also ihre Fähigkeit, laufende Ausgaben durch laufende Einnahmen zu decken. Traditionell erwirtschaften die Gemeinden mit diesem Saldo Überschüsse, die dann zur Finanzierung von Investitionen verwendet werden. Ein negativer Saldo in diesem Bereich deutet auf eine tiefgreifende Krise hin.
2. Analyse der Haushaltslage: Die dramatische Wende im Jahr 2024
2.1 Historische Entwicklung der Haushaltssalden (2022-2023)
Die Finanzlage der sächsischen Kommunen zeigte in den Jahren 2022 und 2023 ein heterogenes Bild, das jedoch insgesamt von einer relativen Stabilität gekennzeichnet war. Diese erzeugte jedoch ein falsches Bild. Schon über lange Jahre blieben die Finanzen nur deshalb stabil, weil sich die Kommunen selbst in ihrem Tun beschränkten. Oft nicht freiwillig, denn das sächsiche Finanzministerium tat sich immer schon schwer, Kreditaufnahmen von Kommunen zu genehmigen. Der Protest gegen diese regide Unterfinanzierung blieb zumeist gut gemanaged von den Interessenvertretungen der Städte und Gemeinden und auch der der Landkreise immer relativ leise. Es klang eher ein wenig nach Nörgelei, denn nach Not. Die Antwort auf Landesebene fiel deshalb auch entsprechend aus: Die Kommunen wollen ja immer mehr Geld. Eine Spruch, den man über ein Kind sagt, das trotz üppigem Salär mehr Taschengeld möchte. Kurz. Man nahm es nicht ernst genug. Und ab und an gab esdann mal ein EXtra. Oder eine Rettungsaktion, wenn es wirklich brenzlich wurde.
Doch im Jahr 2022 war dies vorbei. Die Kommunen erwirtschafteten insgesamt erstmals seit zehn Jahren ein negatives Ergebnis.5 Die Landkreise und Kreisfreien Städte verzeichneten negative Finanzierungssalden, während die kreisangehörigen Gemeinden als Gruppe einen positiven Saldo aufwiesen. Konkret betrug der per-Einwohner-Finanzierungssaldo für die Kreisfreien Städte -218,5 EUR, für die Landkreise -39,4 EUR und für die kreisangehörigen Gemeinden +32,6 EUR.5 Dies verdeutlicht, dass die finanzielle Schieflage bereits 2022 in den größeren Gebietskörperschaften deutlicher spürbar war.
Das Jahr 2023 markierte eine vorübergehende positive Entwicklung. Die sächsischen Kommunen erzielten insgesamt einen Finanzmittelüberschuss von 215,44 Millionen EUR.4 Dieser Überschuss reichte aus, um den summierten Finanzmittelbedarf aller Kommunen zu decken.4 Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt jedoch, dass diese positive Entwicklung teilweise durch einmalige, zusätzliche Zuweisungen des Freistaats Sachsen bedingt war. Ohne diese Zuweisungen wäre der Saldo der Landkreise negativ ausgefallen.4 Dies unterstreicht, dass die finanzielle Erholung des Jahres 2023 auf einem fragilen Fundament stand.
2.2 Die dramatische Haushaltslage im Jahr 2024
Der positive Trend des Jahres 2023 hat sich im darauffolgenden Jahr nicht fortgesetzt, sondern ist in eine akute und weitreichende Krise umgeschlagen. Die Kommunale Kassenstatistik zum 30. September 2024 zeigt eine dramatische Verschärfung der Haushaltslage, die erstmals ein kumuliertes Defizit von über 1 Milliarde EUR erreichte. Das Defizit in den kommunalen Kernhaushalten belief sich zu diesem Stichtag auf -1,07 Milliarden EUR.6
Der Rückblick auf die Zahlen des Jahres 2023 zeigt, dass der Übergang von einem Überschuss zu einem massiven Defizit eine abrupte und tiefgreifende Wende darstellt. Während es zum Jahresende 2023 einen Überschuss von 215,44 Millionen EUR gab, lag das Defizit bereits zur Jahresmitte 2024 bei 640 Millionen EUR und steigerte sich innerhalb eines Quartals auf über eine Milliarde EUR.6 Diese Entwicklung ist nicht das Resultat eines langsamen Abwärtstrends, sondern einer abrupten, systemischen Verwerfung, die alle kommunalen Ebenen betrifft. Der Sächsische Rechnungshof prognostizierte in seinem Jahresbericht 2025 zwar einen geringeren Finanzierungsüberschuss von 84,5 Millionen EUR für das gesamte Jahr 2024 4, diese Voraussage steht jedoch im starken Kontrast zu den alarmierenden Zahlen der Kassenstatistik zum dritten Quartal.
Die Differenz zwischen der Q3-Statistik und der Jahresprognose unterstreicht die extreme Volatilität der Situation. Ein Quartalsdefizit ist oft höher als der Jahresfehlbetrag, da Einzahlungen (z.B. Gewerbesteuer) im vierten Quartal erwartet werden. Dennoch ist das erreichte Defizit von über einer Milliarde EUR ein beispielloser Wert und deutet auf eine ernsthafte Finanzkrise hin, deren endgültiges Ausmaß erst mit den Jahresabschlusszahlen 2024 vollständig ersichtlich sein wird.
3. Differenzierte Analyse der Defizite nach Gebietskörperschaften
Die finanzielle Schieflage im Jahr 2024 ist nicht gleichmäßig verteilt, sondern folgt einem hierarchischen Muster, das bereits in den Vorjahren erkennbar war. Die Kreisfreien Städte, die in der Regel einen größeren Anteil an sozialen und infrastrukturellen Lasten tragen, sind von den Defiziten am stärksten betroffen. Zum 30. September 2024 betrug das Haushaltsloch der Kreisfreien Städte rund 520 Millionen EUR.6
Der kreisangehörige Raum verzeichnete zur gleichen Zeit ein Defizit von knapp 500 Millionen EUR. Eine weitere Aufschlüsselung zeigt, dass die Landkreise mit einem Fehlbetrag von -270 Millionen EUR stärker belastet sind als die kreisangehörigen Gemeinden, deren Defizit bei -225 Millionen EUR liegt.6
Diese Aufteilung zeigt, dass die Krise nicht nur strukturell, sondern auch hierarchisch verläuft. Obwohl die kreisangehörigen Gemeinden, die in den Vorjahren noch positive Salden erwirtschafteten, nun ebenfalls in die Verlustzone geraten sind, sind die größeren Gebietskörperschaften mit ihren komplexeren Aufgabenbereichen unverhältnismäßig stärker von der Krise betroffen. Die finanzielle Vulnerabilität, die sich in den Landkreisen und Kreisfreien Städten bereits 2022 zeigte, hat sich 2024 massiv verstärkt und ist nun auf alle Ebenen der kommunalen Familie übergegriffen.
4. Ursachen und Implikationen der Haushaltskrise
Die dramatische Verschlechterung der kommunalen Finanzlage ist auf eine Kombination aus stagnierenden Einnahmen und sprunghaft ansteigenden Ausgaben zurückzuführen. Auf der Ausgabenseite verzeichneten die Kommunen einen erheblichen Anstieg der Personalauszahlungen um 7,6 Prozent gegenüber 2023, während die sozialen Leistungen sogar um fast 17 Prozent zunahmen.6 Diese Steigerungen resultieren aus Tarifabschlüssen und den erhöhten Kosten für die Betreuung von Leistungsberechtigten.
Gleichzeitig bleibt das Einnahmewachstum hinter den Ausgaben zurück. Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, einer der wichtigsten kommunalen Einnahmequellen, gingen im dritten Quartal 2024 erstmals seit vier Jahren zurück.6 Da die Steuereinnahmen de facto inflationsbereinigt nicht mehr wachsen, entsteht eine zunehmende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben.
Eine der gravierendsten Implikationen dieser Entwicklung ist der Verlust der Investitionsfähigkeit der Kommunen. Die laufende Verwaltungstätigkeit, die jahrzehntelang Überschüsse erwirtschaftete, um Investitionen in Infrastruktur, Schulen und andere öffentliche Güter zu ermöglichen, ist nun selbst defizitär mit einem Fehlbetrag von knapp 400 Millionen EUR.6 Dies bedeutet, dass die Kommunen nicht mehr in der Lage sind, ihre Kernaufgaben zu finanzieren und gleichzeitig für die Zukunft zu investieren. Stattdessen sind sie gezwungen, für selbst grundlegende Ausgaben Schulden aufzunehmen, was ihre Handlungsspielräume weiter einschränkt und die langfristige wirtschaftliche Entwicklung gefährdet.
Die Erosion der kommunalen Selbstfinanzierungskraft markiert einen Wendepunkt in der Finanzgeschichte der sächsischen Kommunen und stellt die grundlegende Funktionsweise der kommunalen Selbstverwaltung infrage. Und wer sich nicht selbstbestimmt verwalten kann, kann auch keine Beschlüsse umsetzen, die von demokratischen Gremien getroffen worden sind. Und ist dieser Punkt erreicht, erodiert der Glauben an die Demokratie als Ganzes.
5. Fazit
Im Freistaat Sachsen gibt es 419 wirtschaftlich selbstständige Kommunen. Ihre Finanzlage hat sich im Jahr 2024 dramatisch verschlechtert. Während die Jahre 2022 und 2023 noch ein heterogenes, aber insgesamt relativ stabiles Bild zeigten – mit einem sogar positiven Gesamtsaldo 2023 – ist die finanzielle Situation in eine akute Krise abgedriftet.
Das Finanzdefizit der sächsischen Kommunen erreichte zum 30. September 2024 eine Größenordnung von über 1,07 Milliarden EUR.6 Dieses Defizit ist die Folge einer anhaltenden Divergenz zwischen stetig steigenden Ausgaben, insbesondere für Personal und soziale Leistungen, und stagnierenden Steuereinnahmen. Die Krise betrifft alle kommunalen Ebenen, wobei die größeren Kreisfreien Städte und Landkreise die höchsten Defizite verzeichnen. Der Umstand, dass die laufende Verwaltungstätigkeit nun selbst einen Fehlbetrag aufweist, ist das deutlichste Zeichen für die strukturelle Tiefe der Krise, die die Investitionsfähigkeit der Kommunen massiv bedroht.
Die vorliegenden Zahlen signalisieren einen beispiellosen Ausnahmezustand in den kommunalen Haushalten Sachsens. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienstleistungen und die Finanzierung notwendiger Investitionen werden in den kommenden Jahren eine immense Herausforderung darstellen, die von den Entscheidungsträgern des Freistaats und des Bundes eine dringende Reaktion erfordern. Ohne grundlegende strukturelle Reformen und finanzielle Unterstützung wird sich die Verschuldung weiter erhöhen, was die Handlungsfähigkeit der Kommunen langfristig gefährdet.
6. Was zu tun ist
Abhilfe schaffen, kann nur der Wille zu einer grundsätzlichen Staatsreform. Und der vielbesprochene Abbau von Bürokratie. Der aber muss nicht in der Verwaltung besprochen werden. Sondern mit denen, die die Regeln aufstellen, nach denen die Verwaltung arbeitet. Also der Politik in Bund und Land. Also mit denen, die die Gesetze erdenken und beschließen. Und damit auch mit denen, die für die Erschaffung der Bürokratie verantwortlich sind. Wenn also beispielweise ein Ministerpräsident sagt, man müssen Bürokratie abbauen, dann führt auch er ein Selbstgespräch. Weniger Gesetze. Mehr Entscheidungsspielraum für die ausführenden Ebenen. Das wäre ein Anfang. Doch eben nur das.
Wenn wir wirklich weiterkommen wollen, dann müssen wir die folgenden Dinge angehen.
Wir müssen nerkennen, dass die Kommunen die wichtigste aller Organisationseinheiten sind. Alles, wofür Politik arbeitet, kommt dort zur Wirkung, hat dort seinen Sinn. Dort leben und entscheiden Menschen, ob Sie das System als gut, schlecht, gerecht oder ungerecht empfinden.
Wir brauchen eine Vertrauensoffensive. Das politische System von jetzt ist von Misstrauen und parteipolitischen Interessen durchzogen. Keiner traut keinem. Der Bund nicht den Ländern, die Ländern nicht den Kreisen und Kommunen. Alle trauen dem Bürger nicht. Und der? Gibt diese Misstrauen zurück. Das muss aufhören. Komplizierte Verfahren sind es, weil sie eine xfache Kontrolle und Absicherung enthalten. Dabei übersteigen die Kontrollaufwendungen nicht selten den potentiell zu erwartenden Schaden. Zugleich brauchen wir eine Offensive für mehr Eigenverantwortung. Politik und Demokratie sind keine Lieferdienste und erledigen nicht alles, wovon Bürgerinnen und Bürger träumen. Es muss wieder mehr eigenverantwortlich umgesetzt werden. Dies zu unterstützen, Dinge im Zusammenspiel zu ermöglichen, ist wiederum Aufgabe der Politik.
Die Zahl der staatlichen Handlungsebenen muss verringert werden. Bund, Land, Landesdirektion, Kreise, Kommunen. Das ist zu viel. Das dauert alles zu lange, ist viel zu kompliziert und selbst für Insider kaum zu durchschauen. Die Landesdirektionen können mit den Landkreisen verschmolzen werden. Damit würde eine Ebene aufgelöst. Zudem ist zu prüfen, ob Landkreise wirklich ein politisches Parlament brauchen. Eigentlich sind Landratsämter eine Organisationshilfe für Kommunen. Dort wird gebündelt, was einer alleine nicht mehr vorhalten kann. Das Kreisparlament hat wenig zu entscheiden. Kann aber unterlaufen werden und vieles verhindern, was eigentlich geschen müsste. Selbst rechtswidrige Beschlüsse sind inzwischen keine Seltenheit. Das kostet Zeit, Geld und verkompliziert die Lage und schafft Stillstand. Beteiligung der Kommunen an der regionalen Entwicklung kann man auch anders organisieren. Und eine eigene Bevölkerung hat der Kreis nicht. Denn die Menschen leben ja in den Kommunen und sind dort angebunden. Die Lsndkreisverwaltung ist lediglich ein Dienstleister. Das ist inzwischen vergessen.
Überprüfung aller Verfahren auf Sinnhaftigkeit. Vertrauen muss vor Kontrolle gehen. Die überprüften Vorgänge werden dann digitalisiert. Nur so kann man den dringend notwendigen Personalabbau realisieren. Die Zeit wäre günstig. Derzeit verlassen sehr viele Menschen altersbedingt und damit regulär die Verwaltungen. Effizienz und neue Prozesse müssen diese Lücken schließen.
Wiederbelebung der Subsidarität. Kommunen müssen wieder wesentliche Dinge selbst entscheiden können. Ja, sie müssen auch selbst entscheiden können, was überhaupt für sie wesentlich ist. Dazu braucht es Möglichkeiten und die Befugnis. Beides kann man schaffen. Es braucht die Wiederentdeckung dieser wirklichen Unabhängigkeit und Freiheit. Mit freiem Geld statt einem Förderdschungel, der unglaublich viel Aufwand und Geld kostet. Und damit inzwischen mehr schadet als das er nützt. Alleine die potentiellen Einsparungen daraus würden das Defizit der kreisangehörigen Kommunen in Sachsen decken. Und es würde zudem alle Prozesse beschleunigen und die Entscheidungshoheit der Kommunen wieder herstellen. Denn: Was jetzt beschlossen wird, kann dann ab morgen starten. Heute wird beschlossen zu beantragen, dass man etwas umsetzen kann. Un dvorherwird nachgesehen, was gerade gefördert wird. So werden Dinge umgesetzt, die auf der Prioliste unten stehen, aber gerade gefördert werden. Und: Senkt dann ein weit entfernter Sachbearbeiter in der Förderbank den Daumen, wird eine demokratisch gefällte Entscheidung von einer Institution gekippt, die nicht vor Ort legitimiert ist. Und alles kommt zum Erliegen. Ein Umstand, der selbst Bürgermeister dazu bringt, auf "die da oben" zu zeigen. Und das kann man ihm nicht einmal verübeln.
Grundsätzlich müssen Ehrlichkeit und die Pflicht zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit in die Politik zurückkehren. Das ist dei Grundvoraussetzung einer funktionierenden Gesellschaft. Menschen wollen wissen, was ist. Dann können Sie auch damit umgehen. Man kann Menschen auch Härten zumuten, wenn man erklärt und belegt, warum dies sein muss. Menschen müssen mehr in die Prozesse eingebunden sein, um auch ihre Selbstwirksamkeit erleben zu können. Nur wenn dies funktioniert, werden die Vorteile der Demokratie erkannt und geschätzt werden. Versprechungen, die nicht gehalten werden, sind hingegen Gift. Sie retten die nächste Wahl. Gefährden damit aber morgen alles.
Wir brauchen eine offene, zukunftsgewandte und mutige Debatte. Jeder und Jedem muss inzwischen klar sein, dass wir mit dem Feuer spielen und das diese scheinbar abstrakte, unpersönliche Krise die größte Gefahr für unsere Grundordnung und die Demokratie darstellt.
Referenzen
Neues Gemeindeverzeichnis für Sachsen erschienen: 419 ..., Zugriff am August 29, 2025, https://www.statistik.sachsen.de/download/presse-2022/mi_statistik-sachsen_050-2022_gemeindeverzeichnis-2022.pdf
Gemeinden und Gemeindeteile in Sachsen - Statistik Dresden, Zugriff am August 29, 2025, https://statistik-dresden.de/gemeinden-und-gemeindeteile-in-sachsen/
Schulden öffentliche Haushalte - Statistik - sachsen.de, Zugriff am August 29, 2025, https://www.statistik.sachsen.de/html/oeffentliche-haushalte-schulden.html
Entwicklung der Finanzen und der Verschuldung in den Kommunen, Zugriff am August 29, 2025, https://www.rechnungshof.sachsen.de/JB2025-B1_Haushaltssituation_Kommunen.pdf
Haushaltssituation der Kommunen - Sächsischer Rechnungshof, Zugriff am August 29, 2025, https://www.rechnungshof.sachsen.de/JB_23_2_32_HHsituationKommunal.pdf
Kommunale Kassenstatistik zum III. Quartal 2024: Kommunales ..., Zugriff am August 29, 2025, https://www.ssg-sachsen.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/2024/25-kommunale-kassenstatistik-zum-iii-quartal-2024-kommunales-defizit-erstmals-ueber-eine-milliarde-euro-riesige-loecher-in-den-haushalten-der-saechsischen-kommunen/



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